Der 43-Freunde-Liveticker (ein paar Tage später)

Höhepunkt hoch zehn – Transsexuelle, Brusthaartoupets und Sauerstoffdoping, oder auch: Florenz feiert

Von Thiago „Big Balls, Sharp Pen“ Maschkerano

Mai 2006. Drei kluge Köpfe treffen sich. Korrektur: Zwei kluge Köpfe und Jakob. Heute sind sie nur noch als Fieldstreet-Connection bekannt. Sebastian, Mathias und Jakob teilen seit frühester Kindheit alles – bis auf die Unterhosen. Sebastians Feinripp-Modell „Der Plunder von Bern“ überzeugt bis heute nur Sepp Herberger und ihn selbst. Aber ich schweife ab...

An diesem lauen, osterglockenduftgeschwängerten Morgen im Mai anno 2006 teilen die drei Freunde einen gemeinsamen Traum. Bei Malzbier, Speck sowie Erdbeeren mit Schwarzbrot und Milch à la Omi Irmgard Förster – Gott habe sie selig – entsteht in der Casa Woodman eine Vision. Eine Vision, die neun Jahre und zehn Austragungen später ihre kühnsten Hoffnungen übertroffen haben wird. Ein Event, vor dessen Legendenstatus heute sogar Zlatan, Chuck Norris und Hans Sarpei in Ehrfurcht erstarren.

Der TT-Cup.


Mit 15 Teilnehmern begann 2006 eine neue Ära
Mit 15 Teilnehmern begann 2006 eine neue Ära

Juli 2006. Legendär auch der erste Cup: 14 Pioniere, das Who is who der damaligen deutschen Straßenpingpongszene, unter anderem mit illustren Gestalten wie Christoph „das Bier ist alle!“ Spindler und Bert „zu schillernd, um sich auf einen Spitznamen festzulegen“ Käbisch, treffen sich in der damals noch beschaulichen Fieldstreet Arena. Zwei Tische aus Tante Ediths Strickzimmer, ein paar Brettchen aus Sigrid Försters Küchenschrank, eine Handvoll als Bälle geeignete Ersatzglühbirnen aus Reinhard Försters Elektromeisterwerkstatt – der Anfang ist nahezu archaisch. Jakob lässt seine Mit-Gründerväter und auch den Rest des Feldes hinter sich und verewigt sich als Moses des TT-Cups als Erster auf dem Pokalsockel.

 

Donnerstag, 6. August. Skandal im Vorfeld: Franco Ortiz, Facility Manager im neuen Arnstädter REWE, streicht seinen Mitarbeiterrabatt auf den Großeinkauf des Organisationskomitees.  Damit reagiert er auf die erneute Ausbootung seines Billigdiscounters als Werbepartner des TT-Cups. In einem mehrwöchigen Verfahren hatte sich High-End-Feinkostanbieter NORMA wie im Vorjahr mit seinem ausgefeilten Werbeslogan („Willst du vorne sein, kauf' bei NORMA ein!“) als Hauptsponsor durchgesetzt. Daraufhin wird Ortiz im OK wieder durch Sebastian „Schlindi“ Lindner ersetzt, der dem Turnier wieder mehr Bodenständigkeit verleihen soll. Erste Amtshandlung des OK-Rückkehrers: Er verpflichtet „Der Plunder von Bern“ als Unterwäscheausstatter der Athleten. Trotz Protesten der männlichen Teilnehmer, welche die von Bitch Coordinator Ortiz eingeführte Regel beibehalten wollen, dass Frauen während des Cups keine Unterwäsche tragen dürfen, segnet OK-Chef Woodman den Deal schließlich ab.

 

Freitag, 7. August, 19.30 Uhr. Etwa 50 Fanbusse sind bereits in der Fieldstreet eingetroffen. Allein aus Florenz sind drei voller italienischer Signoras angereist, um ihren neuen Mitbürger und Liebhaber Daniele Schulzini, Mitfavorit und Zweitplatzierter der letzten beiden Jahre, zu unterstützen. Auch aus dem sächsischen Freital und Heidenau ist ein Bus gekommen, wird aber am Einlass abgewiesen, da die 40 Insassen gemeinsam nicht den vorgeschriebenen Mindest-IQ von 100 erreichen. Während die Akteure noch auf sich warten lassen, begrüßt der stadtbekannte Eintänzer, bei „Let's Dance“ vor dem Finalduell gegen Margot Käßmann wegen Trunkenheit disqualifiziert, die Zuschauermassen mit seinem weltberühmten Unten-ohne-Swing.


20 Uhr. Die ersten Athleten treffen ein. Unter ihnen ein echter Weltstar. Um nicht aufzufallen, hat er sich eine neongelbe Warnweste angezogen und stellt sich als Jens vor. Doch für die Fußballfans unter den Teilnehmern sind der Schnauzer und das schüttere Haar unverkennbar: Jürgen Kohler, Weltmeister von 1990 und Europameister von 1996, gibt sich die Ehre. Zu seiner Überraschung ist auch der Tscheche Pavel Kuka da, der bis dato als slowakischer Praktikant Michael unerkannt blieb. Kohler begrüßt den EM-Finalverlierer von 1996 schelmisch: „Oliver Bierhoff kommt gleich auch noch!“


Jens Kohler
Jens Kohler
Micha Kuka
Micha Kuka

21 Uhr. Nach dem Stelldichein der Prominenz um Kohler, Kuka, Marcel Ribery, Patrick Charisteas und Sebastian Falcao im Szene-Eiscafé Hartleb gesellen sich nun auch die weniger bekannten, drittklassig angereisten und demzufolge verspäteten Teilnehmer zum beliebten Honkytonk. Diese muss der OK-Chef aus Eichelborn abholen, wo sie mit ihrem Flieger notlanden mussten, da der Rudislebener Airport schon von zu vielen Maschinen mit eingetroffenen Fankaravanen verstopft war. Dafür erleben die Bruchpiloten eine Fahrt mit dem legendären Tourbus der Rudislebener Juniorenmannschaft aus Zeiten Hartmut Löfflers.

 

21.10 Uhr.  Aufgeregt ob derartiger Fußballprominenz unterläuft Jakob ein folgenschwerer Fauxpas: Er mischt Beidie Chuunz's's's's kostbare Kirsche in sein Bier, worauf diese von der Kellnerin in einem herzlosen, nahezu barbarischen Akt eingezogen wird. Hätte er das Glas nicht hinter seinem Kanisterschädel oder in seinem Talibanbart versteckeln können, denkt sich Beidie leicht im Zorn.

 

23 Uhr. Während die eingezogene Kirsche von der raffinierten Kellnerin in kleinen Gläschen gegen Bezahlung ausgeschenkt wird, entwickelt sich ein launiger Abend. Briczi tut sich als Philosoph erster Güte hervor. Nachdenkend über eine mögliche Reaktion auf die diskreten amourösen Umschmeichelungen seines Kirchheimer Torstehers, meint er: „Lieber ein Schrecken mit Ende als ein Ende ohne Schrecken.“ Recht hat er! Und wenn sie nicht gelebt haben, starben sie erst gestern...

 

3 Uhr. Robba erreicht das Festivalgelände. Da seine transsibirische Eisenbahn nur bis Erfurt fuhr, muss er den restlichen Weg per Taxi zurücklegen. Sein Geld schon für fleischliche und alkoholische Gelüste verprasst, muss er auch hier Hand anlegen und Taxifahrer Hans-Dieter in Naturalien bezahlen. Wenn das mal nicht zu kraftraubend war für seine hohen sportlichen Ziele...

 

Samstag, 8. August, 9.45 Uhr. It's matchday! Aufgeregt wie Bolle sitzen die Festivalteilnehmer an Försters reich gedecktem Gabentisch bei Speis und Trank. Daniele S., offensichtlich noch durcheinander von der Nacht im Kreise seiner fiorentinischen Musen, entgegnet seinem fuchsigen Freund Robba: „Wer nicht gesaufen hat, darf nicht mitspielen!“ – und der Angesprochene benetzt ohne Widerrede mit dem wohlig schmeckenden böhmischen Gerstensaft namens Tatra seine Lippen. Herzerfrischend, wie gut die Teilnehmer die wichtigste TT-Cup-Regel mittlerweile verinnerlicht haben – auch wenn sie an diesen drei Tagen im Jahr das Sprachzentrum offensichtlich beeinträchtigen werden tut.

 

11 Uhr. Haiangriff in der ZBO! Das ist kein neuer Trashfilm bei RTL2, sondern für Jakob für Sekundenbruchteile furchtbare Wahrheit. Doch dann entpuppt sich das Monster aus der Tiefe nur als harmloser Quastenflosser Robbatus Murphytis. So oder so: Die beim Honkytonk kurzzeitig abhanden gekommenen Lebensgeister sind nach einem Abstecher in den Rudislebener Dorftümpel wieder geweckt. Ready to roll!

 

12.30 Uhr. Die Fieldstreet Arena ist wie angekündigt ausverkauft. Bürgermeister Achim „die Leber“ Lindner nimmt auf der VIP-Loge Platz und gönnt sich zur Einstimmung ein Gläschen feinster Goldkrone. Pillemann Otze eilt herbei und schüttet dem verdutzten OB eine Prise Krümeltee in sein Kaltgetränk. „Tut echt schmecken tun“, kündigt das Bittstädter Ryan-Gosling-Double augenzwinkernd an. „Hasse Rescht, guta Mann!“, nickt der Dorfhäuptling feierlich. Für seinen „Turbine Eistee“ hat Pillemann in Fachkreisen bereits Berühmtheit erlangt.

Um die Spannung zu steigern, verzögert das OK wie gewohnt den Zeitplan. Eigentlich sollte die Pressekonferenz in diesem Augenblick beginnen, stattdessen schickt Woodman erstmal einen ordentlichen Monsun um die Ecke. That's entertainment!

 

13.15 Uhr. Mit einer satten Dreiviertelstunde Verspätung betritt die heilige Dreifaltigkeit Förster-Lindner-Kunz die Arena. Wer ob der Verzögerung auf einen von Special Effects begleiteten, pompösen Einmarsch der Fuchsfellkapuzenträgertroika gehofft hatte, wird enttäuscht. Mit geradezu staatsmännischer Routine nehmen die drei ihre Plätze auf der Pressetribüne ein. Pressesprecher Beidie Chuunz, der seinen gemütlichen Baustil mit einem elastischen Hosenbund geschickt kaschiert, entdeckt nun auch seinen inneren Harry Wijnvoord. Mit säuselndem westholländischem Akzent begrüßt er die 43 Pingpong-Gladiatoren und zeigt eindrucksvoll, warum er der erfolgreichste Scheißhausverkäufer Thüringens ist. Untermalt wird die PK von einem bild- und tongewaltigen Rückblick auf die bisherigen neun Turniere, mehr oder weniger harmonisch von Praktikant Pavel eingespielt, der nach seiner aktiven Fußballkarriere nun bei diversen Großveranstaltungen wie dem TT-Cup als tschechoslowakischer Schwarzarbeiter hinter den Kulissen assistiert.

Natürlich darf die Cup-Hymne nicht fehlen, die Schlagerstar Helene Försch mit einer atemberaubenden Live-Performance auf die Bühne schmettert.

Patchita Wurst ist die erste transsexuelle Teilnehmerin beim TTCUP
Patchita Wurst ist die erste transsexuelle Teilnehmerin beim TTCUP


13.45 Uhr. Endlich fliegen die ersten Bälle übers Netz! 43 Spieler haben sich in diesem Jahr bei den 20 weltweiten Qualifikationsturnieren durchgesetzt. Vor allem Khanh aus Vietnam schaffte die Sensation, indem er die gesamte chinesische Weltelite bezwang. Somit hat es noch immer keiner der Weltmeister und Olympiasieger aus dem Reich der Mitte geschafft, sich für das bedeutendste Tischtennisturnier der Welt zu qualifizieren. Mit dem Österreicherin Patchita Wurst ist auch erstmals eine Transsexuelle dabei:

 

Für die zahlreichen Fans aus aller Welt, die keine Eintrittskarte ergattern konnten, hat sich das OK diesmal ein ganz besonderes Gimmick überlegt: Kameramann Marki, der schon für die spektakulären Actionszenen bei Cobra 11 und Rosamunde Pilcher verantwortlich war, sorgt diesmal beim TT-Cup mit seinem Hightech-Equipment für atemberaubende Bewegtbilder aus allen möglichen Winkeln. Zum Glück für die weiblichen Teilnehmer wurde Ortiz' No-Underwear-Rule abgeschafft, denn der gewitzte Filmemacher krabbelt sogar unter die Platten! Mittendrin statt nur dabei, meine Damen und Herren! Sein knapp vierminütiger Cup-Trailer ist die Filmsensation des Jahres und hat beste Chancen auf die Goldene Mistgabel von Rudisleben. Sogar der Kurzfilm-Oscar steht in Aussicht.

 

Roundup Vorrunde. In Gruppe A hat Harry das Mikro gegen den Schläger eingetauscht – und hätte das lieber bleiben lassen: Gegen Gruppensieger Johner verliert er einen Satz gar mit 0:11 – kann sich zur Freude der Fans alsbald aber wieder auf sein Kerngeschäft Kirsche&Kommentieren konzentrieren und ist deshalb trotzdem „schuper drauf“.

Das kann man von André in Gruppe B nicht behaupten. Mit seinem Latinohut und seinen gelben Gummistiefeln sieht er zwar aus wie eine Mischung aus Johnny Depp und Peter Lustig, macht an diesem Tag aber eher einen sauertöpfischen Eindruck. Seine Leistung ist nicht nur an der Platte, wo er ohne Satzgewinn bleibt, indiskutabel. Khanh muss feststellen, dass die Trauben beim TT-Cup höher hängen als gegen Chinas Spitzenkräfte, schafft es aber als Vierter der wohl stärksten Gruppe in die nächste Runde.

Dort steht auch Christian als souveräner Sieger der Gruppe C. Für ihn der erste sportliche Erfolg seit langem, nachdem er als Arnstädter Torwart eine Pleitensaison samt Abstieg erlebte.

Das beste Vorrundenmatch – wie später auch das beste Match des Turniers – liefern sich in Gruppe D Bad Boy Robba und Jürgen, der seinen dezenten Plauzenansatz derart grazil über den heiligen Rasen wuchtet, dass sich Boris Becker wünscht, nochmal 35 zu sein. Beide Ballartisten ziehen souverän in die K.o.-Runde ein und untermauern ihren Mitfavoritenstatus.

In Gruppe E regiert Pygmänistan – der zweimalige Sieger Marcel ist aus dem Land der Zwerge erneut über die sieben Berge gestiefelt, um die U 1,50-Sonderwertung zu gewinnen. Um gefährlich auszusehen, hat er sich als Rambo verkleidet – zumindest in der Vorrunde ein wirksames Rezept. Erwähnenswert auch der Auftritt von Hausmeister Frank Krause, der nach 24-Stunden-Schicht als menschlicher Flaschensortierautomat bei REWE direkt zur Fieldstreet getrampt ist, um zwei Flaschen an der Platte auszusortieren und Gruppenvierter zu werden.

Stef will nach den Enttäuschungen der letzten Turniere noch einmal an seine grandiose Form aus den Vorkriegsjahren anknüpfen. Der Anfang als Sieger der Gruppe F ist gemacht. Auch Steiger-Maradona Gutschi, der einst als Arnstädter Sturmtank vielversprechend gegen das runde Leder trat, manövriert seinen Rubenskörper schnappatmend ins Sechzehntelfinale.

Die Gruppen G und H werden dominiert von den Finalisten der letzten beiden Jahre, Daniel E. und Daniel S.. Ohne Satzverlust zeigen sie ihren Möchtegern-Kontrahenten frühzeitig, wo die Kelle hängt. In Gruppe H sorgt zudem die Begegnung Porno-Ralle gegen Kiez-Torsten für Aufsehen. Aufgrund ihrer einschlägigen Akte als Gangmembers der Hells Angels bzw. Bandidos wird das Duell der schwarzgekleideten Straßenveteranen zum Hochsicherheitsspiel erklärt, bei dem den Fans der Genuss alkoholischer Getränke untersagt ist. Demzufolge kommt auch keiner. Die gute Nachricht: Keiner hat etwas verpasst.

Einige verpassen dagegen den Schlag des Turniers, den Kurte, Bezirksmeister in den 50er Jahren, zelebriert. Mit schlanken 81 Lenzen schlenzt der freche Dachs  – mit Ansage! – eine Angabe fast vom Nachbargarten aus dem Handgelenk auf die Platte und setzt danach eine selbstverständliche Miene auf, als hätte er gerade ein Wurstbrot geschmiert. Großartig.

 

Runde der letzten 32. Die wenigen, die sich durch die knüppelharte Vorrunde ins Sechzehntelfinale geackert haben, dürfen stolz sein. Wo sie stehen, haben es Timo Boll, Jan-Ove Waldner und Schwing Dei Ding noch nie hingeschafft. Doch Ina Maria Feliz Navidad da Costa Gaucho reicht das nicht. Das kleine Energiebündel mit dem typisch norddeutschen Namen legt vor ihrem K.o.-Duell gegen Thiago offiziell Beschwerde beim OK über das Spielsystem ein. Ihre Begründung ist stichhaltig: „Es kann doch nicht sein, dass die Schwächsten gleich auf die Besten treffen und ausscheiden. Das verstehe ich nicht.“ Obwohl ihr Freund und Kupferstecher Mateo dem OK vorsteht, wird ihre Klage in letzter Instanz abgewiesen.

Tatsächlich bleibt die erste K.o.-Runde ohne Überraschungen. Die Ersten und Zweiten der acht Gruppen ziehen allesamt ins Achtelfinale an. Am spannendsten verläuft das Duell der Lokalmatadoren. Woody, bei dem Selbsteinschätzung und Talent seit ziemlich genau zehn Jahren einen unerbittlichen Kampf ausfechten, zwingt Gastgeber Basti Fantasti über die volle Distanz. Doch der bescheidene Hühnerzüchter, der in seiner Freizeit die Europageschäfte der Commerzbank managt, lässt sich von den Spirenzchen Mathews, der übermotiviert wie eine bulgarische Gewichtheberin nach einer Nase Riechsalz an der Platte rumhampelt, nicht aus der Ruhe bringen und kommt weiter.

 

Achtelfinale. Was zur Hölle hat denn die Losfee geraucht? Den Zuschauern bleibt der Kaviar an den Zähnen hängen, als Anne „French Wonderbra“ Schölzel ein potenzielles Finalduell nach dem anderen aus der Mütze zaubert. Schon nach dem ersten Duell auf dem Centre Court steht fest: Es wird einen anderen Sieger geben als 2013 und 2014. Daniele Schulzini zwingt Daniel Erdmann alias „Jason Stateman“, wie ihn unser drolliger Moderator einst taufte, in fünf spannenden Sätzen in die Knie.

Was die Fans dann aber zu sehen bekommen, darf mit Fug und Recht behaupten, eines der, wenn nicht das beste Duell überhaupt in all den Jahren an der Fieldstreet gewesen zu sein. Ich selbst werde während dieser packenden fünf Sätze endgültig zum Jürgen-Kohler-Jünger, denn ich erkenne mich in ihm wieder: Behaart, schwitzend, schnaubend und leicht übergewichtig schmeißt dieser fleischgewordene Rasenmäher sein Leben in die Manege. Gegen Topspin-Ass Robba zeigt er sogar den Becker-Hecht – auf Beton! Freunde, haltet eure Schweine fest! Kreischende Dorfmägde müssen vom mächtigen Sicherheitsmann mit dem furchteinflößenden Namen Brahummel bei dem Versuch zurückgehalten werden, Jürgens Brusthaartoupet – übrigens noch bis Heiligabend erhältlich für 3,99 Euro bei REWE – zu berühren. Am Ende muss sich mein bauchiger Bruder im Geiste zwar mit 2:3 geschlagen geben, hat sich jedoch in die Herzen der Fans gespielt. Pille mit glänzenden Augen auf der Tribüne: „Echt gut, ne?“ Bürgermeister Lindner: „Wo ist der Krümeltee?“

Auf dem Rasenplatz wagen zwei Torwart-Titanen derweil den Kampf mit sich und den stürmischen Böen. Das bärtige Ungeheuer Thiago sieht beim 2:0 schon wie der sichere Sieger aus, doch Strecke spielt wie ein Schweizer Uhrwerk unbeirrt weiter, dreht das Spiel und zeigt dem Premierensieger von 2006, dass die Trauben beim TT-Cup mittlerweile höher hängen als der vorgeschriebene Mindestalkoholwert der Teilnehmer. Apropos: Thiago kann sich nun der Suppe widmen, denn davon ist noch reichlich da.

An der Tatra-Kühlstation begegnet er Stef, auch einst Gewinner des ruhmreichen Pokals. Jakob: „Was los, noch dabei?“ Stef: „Nee, gerade 0:3 gegen Marcel verloren.“ Jakob: „Aber du bist doch viel größer als er!“ Stef: „Aber er ist viel stärker!“ Jakob: „Ich komm mit der Jugend von heute auch nicht mehr klar. Gönn dir!“

 

Viertelfinale. Highlight der Runde der letzten Acht ist das Duell der kleinwüchsigen Kellenkünstler Daniele und Marcel. Der Steroidenbomber aus Erfurt setzt dem feingeistigen Fiorentiner mächtig zu und zwingt ihn über die volle Distanz. Dann geht ihm aber der Stoff aus und er muss als letzter möglicher Kandidat den Traum begraben, die Yasin-el-Ishaq-Trophy zum dritten Mal zu gewinnen.

Robba erhält seinen Wunschgegner B-Rabbit – und hat zumindest an der Platte die besseren Argumente. Für den Nachwuchsrapper aus Detroit ist das Viertelfinale aber ein Achtungserfolg, nachdem er unter dem Pseudonym Eminem jahrelang erfolglos versucht hatte, sich in der Musikbranche zu etablieren. Nun widmet er sich dem Tischtennissport und ab dem Winter der Aufgabe, mit der mächtigen Eintracht in die Kreisliga aufzusteigen.

Zwei Überraschungsmänner komplettieren die Vorschlussrunde: Danke Ronny! zeigt, dass sein Sensationssieg gegen Jakob im Vorjahr keine Eintagsfliege war. Und unser mächtiger Beatmungstrainer Uwe Schröder beweist einmal mehr sein vielseitiges sportliches Talent. Unspektakulär, aber äußerst effektiv erteilt er dem hoch gehandelten Johner eine schmerzhafte Lektion. Uwe danach: „Ich bin nicht nachtragend, habe lieber eine sportliche Antwort gegeben.“  Hintergrund: Der Kirchheimer Kicker hatte den Wechsel zu seinem Heimatverein bereits zugesagt, sich dann aber für Ohrdruf entschieden, weil die ihm fünf Mettbrötchen mehr im Monat boten. Pfui deibel!


Halbfinale. Robbini contro Schulzini: Was sich wie ein Leckerbissen anhört, hat auch durchaus eine interessante Note – aber der letzte Kick fehlt. Die Nordkurve trommelt sich die Hände wund, wobei Praktikant Pavel nach seinem Achtelfinal-K.o. Trommellegende Maschkerano wirkungsvoll unterstützt. Die Ohren der Zuschauer laben sich an der akustischen Harmonie der Rudislebener Stadtmusikanten...

Auf der Gegengerade spielen sich derweil atemberaubende Szenen ab. Elektromeister Reinhard Förster balanciert freihändig in schwindelerregender Höhe auf seiner Leiter – nicht etwa, um den Strom der Flutlichtanlage zu überprüfen, sondern um endlich auch mal für Stimmung in der Südkurve zu sorgen. Bevor ihn seine besorgte Frau mit dem Nudelholz von der Leiter komplimentiert, schießt er noch schnell ein Selfie:

Spektakuläre Akrobatik in der Höhe von Reinhard F.
Spektakuläre Akrobatik in der Höhe von Reinhard F.

Auf dem Centre Court hat Robba hat zwar immer noch die Haare schön, doch gegen Daniele Grande ist er mit seinem Schurkenlatein am Ende und muss den Traum vom erstmaligen Titelgewinn mit 1:3 begraben. Man merkt, dass er seinen emotionalen Mount Everest bereits im Achtelfinale gegen Jürgen – es gibt übrigens immer noch Brusthaartoupets für 3,99! – erklommen hat. Schon vor dem Duell mit seinem Kellenkumpel hadert er mit der Auslosung. Wahrscheinlich hätten wohl beide das Finale erreicht, aber das hätte Bert in einem anderen Körper auch. Trotz guter Gegenwehr gelingt es Robba letztlich nicht, dem Wahlitaliener sein Calzonegrinsen aus dem Gesicht zu schlagen.

Im Duell der beiden Ungesetzten behautet sich Uwe dank seiner Routine und Konstanz mit 3:1 gegen Ronny und zieht ins Endspiel ein. Allerdings wird sein Erfolg derzeit noch von der RADA, der Rudislebener Antidopingagentur, unter die Lupe genommen. Es besteht der Verdacht, dass er nicht nur die geforderte Mindestpromillegrenze von 1,78 unterschritten, sondern vor dem Halbfinale auch heimlich mit Sauerstoff gedopt hat. Ronny: „Es kam mir schon seltsam vor, dass er so stark nach Sauerstoff gerochen hat. Und dann hat er sich auch noch so schnell bewegt, als würde er die ganze Zeit Sauerstoff atmen.“ In Uwes Fahrzeug stellten die Ermittler drei Flaschen der verbotenen Substanz sicher.


Freude-Pur bei Robba!
Freude-Pur bei Robba!

Spiel um Platz 3. Robba macht mit Ronny kurzen Prozess. Mal wieder Platz drei. Später bei der Siegerehrung kann er seine Freude kaum zügeln:

Finale. Die Spannung wird auf die Spitze getrieben: Vor dem großen Finale beschießt das OK eine einstündige kulinarische Pause. Patchita Wurst hat ihr Würstchen noch dran, die eingeschweißten dafür aber schön goldbraun durchgebraten. Nach einer Fressattacke Berts, dem die Salpeterdämpfe im Chemielabor scheinbar den letzten Funken Anstand gekostet haben, sind die Reihen auf dem Grill ohnehin gelichtet. Ausgezehrt von sieben Stunden Hochleistungssport stopfen sich die Athleten das verbliebene Bratgut zwischen die Kiemen.

Gegen 21.30 Uhr pfeift Schiri Olli Steinacker, die größte deutsche Schiedsrichterhoffnung seit Robert Hoyzer, das späteste TT-Cup-Finale aller Zeiten an. Der Spannungsbogen wird leider nicht aufrechterhalten: Uwe hat auf eine Stärkung verzichtet, nun möchte man seinen Schlägen am liebsten ein paar Rostbratwürste hinterher werfen. Damit die Zuschauer nicht wütend werden, erinnert sie das mittlerweile selbst gut im Tee stehende kongeniale Moderatorenduo immer wieder daran: „Es ist noch Suppe da!“ 

Endlich am Ziel seiner Träume - Daniele Schulzini
Endlich am Ziel seiner Träume - Daniele Schulzini

Daniele Schulzini flext den Matchball schießlich mit Schmackes zum 3:0 in die Hälfte seines Gegners und krönt sich vollkommen verdient erstmals zum Champion.

 

22 Uhr. Die berüchtigte Aftershow-Flackerei, die eigentlich schon seit Freitagabend läuft, kann endlich losgehen. Sieger und Verlierer, Könner und Luschen, Macher und Diener: Alle liegen sich in den Armen. Franco, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion doch noch für die von ihm gewünschte REWE-Werbung gesorgt hatte, zeigt sich mit der Schöpfkelle wesentlich effektiver als mit der Tischtenniskelle. Als Nachfolger des etatmäßigen Sangriaverkosters André, der anwesend, aber in anderen Umständen ist, stellt er sicher, dass die Alkoholgrenze auch nach dem Turnier nicht unterschritten wird. In seinem Einflößverhalten ist er aber nicht ganz so rigoros wie sein Vorgänger, der zudem selbst mehr an der Kelle genascht hat. Resultat: Etwa 1500 Packungen Sangria bleiben ungeöffnet. Da sie im nächsten Jahr aber ohnehin von Turbine Eistee als TT-Cup-Massenvernichtungsgetränk abgelöst werden, gehen sie zurück in den freien Verkauf.

Derweil breitet der unvergleichliche DJ A to the quila auf der Empore sein Gefieder aus und zeigt Marco Reus, wie man in null Zügen wendet. Tänzerische Unterstützung kommt von Bei „the Worm“ Chuunz, der sein Liebesfleisch elegant wie ein Zitronenfalter über den Boden kurvt. Bis drei Uhr morgens dauert das gesellige Miteinander an.

 

Sonntagmorgen, etwa 5.30 Uhr. Daniele, der seinen Harem aus dem Zelt gescheucht hat, damit er neben dem Pokal schlafen kann, verspürt einen leichten Harndrang. Er huscht hinaus in die laue Morgenluft und entledigt sich des überschüssigen Alkohols. Dabei begegnet er Paul, der sich des überschüssigen Alkohols offenbar gerade auf andere Weise entledigt hat. „Paul, geht’s dir gut?“ Keine Reaktion. „Alles in Ordnung?“ Keine Reaktion. „Na dann bis später“, sagt der Sieger achselzuckend und schleicht zurück in sein Zelt, wo er weiter von seinem Triumphmarsch durch Florenz träumt. Auf einmal rennt Beidie Chuunz im Adamskostüm vorbei und ruft: „Es ist noch Suppe da!“ Ob das wirklich passiert oder nur Teil seines Traums ist, weiß Daniele nicht. Er lächelt nur und freut sich auf nächstes Jahr.

Alle Teilnehmer des 10. TTCUPs in Rudisleben
Alle Teilnehmer des 10. TTCUPs in Rudisleben